Donnerstag, 16. Dezember 2010

Istanbul...encore

Istanbul und Europa liegen nun - ganz wörtlich - hinter uns. Wir wurden gerade durch ein grosses Schild hinter der Bosporus-Brücke in Asien willkommen geheißen. Es regnet in Strömen und letzte Nacht fiel die Temperatur in Istanbul von 20 auf 5 Grad. Der unverschämte Wetterwechsel hat uns den Abschied etwas leichter gemacht, da wir nun wohl schnell weiter südlich müssen.

Der fast dreiwöchige Aufenthalt hier hat sich gelohnt. Wir haben uns sehr gut akklimatisiert, lesen uns mit Orhan Pamuk ("Istanbul") und Yasar Kemal ("Mehmed mein Falke") - neben anderem klasssischen Lesenachschub von Dostojewski, Lenz, Grass, Zweig etc. erstanden in der sehr guten deutsch-türkischen Buchhandlung in der Nähe der Tünel-Station in Beyoglu - in die türkische Seele ein, haben durch abendliche Moscheebesuche die Scheu vor der "etwas anderen Religion" verloren und sind vom Lebensstil hier schlichtweg begeistert.


Die "Nostaljik Tramway" verbindet Tünel und Taksim-Square im Beyoglu
"Neue" Moschee am Abend
Natürlich haben wir noch einige der wichtigsten Sehenswürdigkei-ten "mitgenommen", absolut beeindruckend ist das Innere der Hagia Sophia, eine der monumentalsten sakralen Kuppelbauten der Welt. Die ehemals christliche, bzyantinische Superkirche wurde zwar in osmanischer Zeit auch zur Moschee ist aber heute nur noch in Museumsfunktion.
Inside Hagia Sophia
Ebenfalls sehr stimmungsvoll ist ein Besuch des unterirdischen, byzantinischen Wasserspeichers, der Basilikazisterne - unglaublich welchen Aufwand man zum Bau eines Wassertanks auf sich nehmen kann...

Dazu wird klassische Musik gespielt...
Doch all der Aufwand hat Byzanz bzw. Konstantinopel dennoch zu Fall gebracht, und im Jahr 1453 kam Sultan Mehmed der II. mit 100.000 Mann aus Edirne und brachte die neuentwickelten, riesigen Kanonen mit, mit deren Hilfe er zum ersten Mal seit rund 1000 Jahren die 6,5 Kilometer lange Landmauer der Stadt bezwingen konnte. Diese Schlacht wird sehr eindrucksvoll im 1453 Panorama-Museum am Topkapi-Stadttor ("Kanonentor") dargestellt.

Kuppelgemälde, maßstabsgetreue Kanonen und Schlachtgeräusche, hier ist man mittendrin statt nur dabei
Doch die Kanonen allein waren es nicht - die Einnahme von Konstaninopel wird heute noch als kriegsstrategische Meisterleistung gepriesen. Unter anderem liess Sultan Mehmet innerhalb von nur 4 Monaten eine Landfestung an der schmalsten Stelle des Bosporus errichten, um die Nachschubwege Konstaninopels abzuschneiden (was ihm ebenfalls gelang). Auf den Mauern des Rumeli Castle, die Mehmet persönlich entworfen hat, sind wir natürlich auch rumgeklettert...

Heute darf Schiff wieder vorbei...
Nach drei Wochen Großstadt und Ausflügen in die Umgebung sind wir Experten im öffentlichen Nahverkehr. Es gibt kein flächendeckendes U-Bahnnetz in Istanbul, nur wenige Linien, und ergänzt wird das durch Metrobus, Tram, Bus, Fähren, Waserbusse, Aufzüge usw. Je nachdem wo man hin will und wann man unterwegs ist, muss man die richtige Kombination wählen damit es nicht zu lange dauert. Am schnellsten sind die Metrobusse, die auf eigenen Fahrbahnen im Linksverkehr 34 Stationen in West-Ost Richtung wie an einer Perlenkette bedienen, eine Art U-Bahn auf Rädern.

Abfahrt in Yenibosna...

...45 Minuten später Ankunft in Sisli
Kommen wir dann mal zum modernen Istanbul. Hinter dem Goldenen Horn in Sisli beginnt die neue Welt, riesige Shopping Malls, Trump Towers, viele Neubaukomplexe, die fast an chinesische Dimensionen erinnern...

"Darth Vader" Towers (haben wir sie genannt)
Wolkenkratzer in den Finanzvierteln Taksim und Levent, Universitäten und kilometerlange Alleen in Besiktas. Edelcafés (z.B. das TheHouse Café mit ca. 10 cool-schicken Dependancen in der Stadt), Park Hyatt und Louis Vuitton im Macka-Viertel (und auch das syrische Konsulat, wo man uns auf die Frage ob wir ohne Visum als Deutsche an der Grenze reinkommen würden mit einem charmant-orientalischen "maybe" antwortet), schicke Villen am Bosporus-Ufer...


Schöner Wohnen am Bosporus
...die auf den Prinzeninseln haben wir nicht gesehen, da längere Schiffstouren dann doch eher was für den Sommer sind. Statt dessen...

...zum Aufwärmen in die Mall
Offiziell 13 Millionen Einwohner - manche sprechen von über 20 Millionen, hundert Kilometer Stadt auf beiden Seiten des Bosporus. Überall herrscht emsiges Treiben - oder auch obligatorische Teepausen - in den Strassen. Krasse Gegensätze, West und Ost, Moderne und "gute alte Zeit", wohlhabende Studenten, arme Greise, unerschütterliche Händler, (im Dezember nicht mehr ganz so viele) Touristen, Banker und Bettler, junge Frauen leicht und selten schwer verhüllt und auch mal auf Stilettos und im Röckchen. Wir laufen von der Stadtmauer bei Edirnekapi durch das einfache Fatih-Viertel und sind direkt wieder die Attraktion bei den Schulkindern. Im Nu sind wir "eingekesselt" und die Kids probieren ihr "Englisch" an uns aus. Wir erfahren alle Namen und "müssen" Fotos machen.

Schule aus im Fatih
Plötzlich ist dann alles sehr heruntergekommen, halbverfallene alte Holzhäuser (man sagt die Feuerversicherungsprämie wäre unbezahlbar)...

Renovierungsstau
...aber wahrscheinlich spielen die Spekulanten bereits ihre Spielchen, denn direkt dahinter erhebt sich als weiterer Touristenmagnet die prächtige Süleyman-Moschee, gerade frisch generalüberholt, wie so viele der Sehenwürdigkeiten Istanbuls. 

Süleyman-Moschee
Und in den Strassen immer unzählige Menschen die mit kleinen Verkaufswägelchen und Pfennigsartikeln ihren täglichen Lebenskampf bestreiten, aber unglückliche oder unfreundliche Gesichter sieht man fast nie. Im Gegenteil, die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft die uns hier entgegenschlägt ist manchmal schon fast irritierend.

Ayun kennt - und erklärt uns - die Welt
...aber ein Fotograf wird nicht mehr aus ihm ;)
Überhaupt ist Istanbul für uns nicht nur beeindruckend und schön, sondern auch sehr preiswert, wenn man sich an die einfachen Lokantasis (alles steht fertig da, du zeigst drauf, 'bir porsyon ve pilav lütfen', Brot & Ayran dazu, schmeckt immer!), Suppenshops, Börek-, Pide-, Köfte- und Kebabsalons und natürlich die Strassenstände hält, die es überall im Überfluss gibt. Durch die große Konkurrenz bedient man die Kunden extrem zuvorkommend und professionell. Ich habe selten effizientere Restaurants gesehen als in Istanbul. Und die supergemütliche Variante gibt's natürlich auch...

Anatolian Kebab
Immer lecker die kleinen Sachen über den Tag, frisch gebratene Fische im Brot am Fähranleger in Eminömü, oder Muscheln, die überall von grossen Blechen verkauft werden, in der eigenen Schale bereits mit Reis, Kräutern und Gewürzen gemischt. Man nimmt den Deckel ab, träufelt etwas Zitrone drüber, schiebt den Deckel unter den Reis-Muschelklumpen und ab in den Mund - super. Gudrun steht auf Kokorec, mit Darm umwickelter Lammbraten vom Grill, klein gehackt, mit Kräutern und Gewürzen - auch super. 

Hier gibt's Balik Ekmek - "Fischbrötchen" auf türkisch
In der letzten Woche haben wir wieder Fersengeld verdient, und viele Stadtwanderungen gemacht, auf beiden Seiten des Bosporus. Allein die Fährueberfahrten sind ein Erlebnis - und ganz billig. Es ist fast nicht zu glauben, man sitzt auf dem Oberdeck, die Möwen kreischen, die Sonne taucht die Skylines zu allen Uferseiten in goldenes Licht, dann kommt der Teeverkäufer und man bezahlt auf dem Schiff umgerechnet 25 Euro-Cent für ein Glas Tee, hier stimmt das Preis-Leistungsverhältnis.

Bosporus Ferry Trip
Und weil es so schön war, hier noch ein paar gesammelte Impressionen, zuerst von unserem Ausflug am europäischen Bosporusufer:

Voll gechillt
Dann noch einmal Basar-Stimmung...

Grand Bazaar
...und nochmal...

Eingang zum Basar
Wunderschöne Stimmung in den alten Gemäuern, trotzdem (bzw. deshalb) kaufen auf dem "Grand Bazaar" nur noch Touristen ein. Eine kleine Geschichte dazu (damit ich es nicht vergesse). Wir sitzen in der Tram T1, in der neben den türkischen Stationsnamen auch die Touristennamen angesagt werden. Vor uns sitzen zwei türkische Studentinnen (die Uni ist direkt nebenan im Basarviertel). Dann kommt die Ansage aus dem Lautsprecher "Beyazit - Grand Bazaar". Die beiden kichern. Eine wiederholt mit gekünstelter Stimme das "Grand Bazaar" - beide brechen in Gelächter aus. Wir schmunzeln mit, so ist es eben mit dem Grand Bazaar...die echten gibt es hundertfach in Istanbul, da wo die Tram nicht hinfährt.

"Real Bazaar", kicher
And now..some comedy. Mit dieser (haushohen) Werbung in Besiktas konnten wir nichts, aber auch garnichts anfangen. Dresden, Nisan, Kleinmaischeid...alles klar?

Istanbul - Kleinmaischeid
...und damit das jetzt nicht zu lustig wird, folgt nun die erschütternde Fotodokumentation unseres ersten Zusammentreffens mit dem türkischen Militär...

Hier wird nicht gelacht!
Und dann, auf einer unserer vielen Wanderungen durch den Basar entdecken wir doch tatsächlich genau unser Hochzeits-Outfit vom Juli wieder, da wurde uns doch ganz warm ums Herz!

Genau wie wir!!!
Nach soviel Spass muss auch mal (wieder) gegessen werden...(denkt aber nicht, dass da in Istanbul der Spass aufhören würde!)

Süper Döner, süper Moustache!
In Istanbul gibt es wahrscheinlich mehr strahlweisse BMWs der aktuellen Baureihen als in Hamburg, München und Frankfurt zusammen, aber sooo ein Teil muss man erst mal suchen:

Stilvollendet in Farbe und Form
So und jetzt lassen wir den Blog so gemütlich enden, wie unseren letzten Tag in Istanbul - bei einem zünftigen Nargileabend in der mittelalterlichen Medrese (ehemalige Koranschule). Gudrun Orange, Özgür Apfel, Timo Cappucino, und die Dinger brennen echt dreieinhalb Stunden, Kohlenachschub aus dem Blecheimer, Tee in Dauerversorgung wie das Kölsch im Päffgen. 10 von 10 Stimmungspunkte! Wenn ihr mal in Istanbul seid, Tram T1, Haltestelle Cemberlitas...

Viel Rauch um nichts?
Bedampft und glücklich grüssen wir alle Schneehasen in Deutschland und ähnlich heimgesuchten Gebieten....
 


 

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