Tanja und Dominik sind schon ein paar Tage vor uns aus Kusadasi Richtung Antalya aufgebrochen, da sie dort per Couchsurfing (das Internet, der wahre Travellersegen!) ein paar Tage bei einem jungen Türken wohnen dürfen. Wir hatten verarbredet, dass wir uns Sonntags drauf in Antalya wieder treffen würden, und so sind Gudrun und ich am Donnerstag los, da wir auch Lust auf ein paar Stationen an der südlichen Ägäisküste hatten, bevor es wieder in eine Millionenstadt geht. Für die rund 500km Südost war ein kompletter Fahrtag eingeplant.
Wir sind gut ausgestattet, da wir uns in Istanbul einen dicken Lonely Planet Türkei-Reiseführer und einen detaillierten Strassenatlas geleistet haben. Wir eumeln gemütlich durch türkische Lande und erreichen am späten Mittag die grosse Stadt Denizli. Ganz in der Nähe liegt das berühmte Pamukkale mit den weissen Sinterterassen, Heilquellen, Ausgrabungsstätten usw., das normalerweise ein Muss jeder Türkei-Reise ist.
Wir lassen Pamukkale dennoch links liegen, da wir beide vor über 20 Jahren schon mal da waren. Mit viel Anlauf schrauben wir uns also hinter Denizli die Serpentinenstrassen hoch, und folgen der Hauptstrecke nach Antalya.
Teestation |
Die Strasse führt jetzt durch eine riesige Hochebene die seitlich von schneebedeckten Gipfeln gesäumt wird. Die Landstrasse ist breit und zweispurig, es herrscht kaum Verkehr. Entlang der Strasse gibt es eine Menge Rasthöfe und Restaurants, da auf dieser Strecke im Sommer alle Touris aus den südlichen Küstenorten ihren obligatorischen Pamukkaletrip absolvieren.
Ab und zu kommt ein Dorf, und die gesamte Hochebene wird intensiv bewirtschaftet, die Erde hier ist dunkel und saftig. Wir haben uns mit dem Fahren über den Tag abgewechselt, und die Stimmung ist gut, so dass wir beschliessen auch nach Einbruch der Dunkelheit weiter zu fahren, und wenn möglich die schöne, wilde Küste westlich von Antalya am Abend zu erreichen.
Hochebene im Taurusgebirge |
Es dämmert schon gegen halb fünf und wir haben uns die Stichstrassen, die alle ca. 100km nach Süden führen angeschaut und uns für die entschieden, die im kleinen Küstenort Kas endet, der im Lonely Planet sehr sympathisch beschrieben ist. Dort gibt es Wandermöglichkeiten (z.B. der lykische Weg, ein 500km langer, markierter Wanderpfad über die wilden Ausläufer des Taurusgebirges mit unzähligen historischen Stätten), Felsgräber über dem Ort, eine kleine aber feine touristische Infrastruktur und eine tolle Lage mit vorgelagerter Halbinsel, und der kleinen (griechischen) Insel Meis in Sichtweite. Von Kas aus können wir dann auf dem Weg nach Antalya weiter der Küste folgen, und mit Zwischenstopps noch einige alte Steine z.B. Myra, Andriake, Olympos... abklappern.
Noch sind wir oben, und biegen bei Korkuteli rechts ab Richtung Elmali, die Strasse steigt weiter an und wir sind schon recht erstaunt als wir über einen Pass fahren, der laut Schild auf 1380m Höhe liegt. "Naja, viel höher kann es ja nicht mehr gehen" war so ein Ausspruch von uns. Wohlgemut aber etwas hungrig fahren wir unseren Bus in Gömbe direkt vor eine Lokantasi, mit den üblichen Töpfen zum Reingucken und wir essen Linsensuppe, Fleisch mit Auberginen und Reis, trinken den obligatorischen Ayran und Tee danach. Zwei freundliche junge Türken bewirten uns mit Mamas Gekochtem, es schmeckt wie immer ausgezeichnet, und ist wie immer extrem preiswert. Wir radebrechen ein wenig türkisch-englisch und auf die Frage wo wir hin wollen und unsere Antwort "Kas" kommt nur ein "Ok, ok".
Als wir eine halbe Stunde später wieder aufsatteln hat es zu regnen begonnen, wir verlassen Gömbe, doch entgegen unserer festen Überzeugung es müsste jetzt eigentlich mal langsam runter gehen, steigt die Strasse immer weiter an. Schneeregen. Der erste Schneematsch auf der Strasse, aber unsere 5 Tonnen pflügen sich gut durch, die Strasse ist breit und wir haben das Tempo stark reduziert. Dann taucht auf einmal ein Schild "Kas" auf und weist nach links, wir müssen abbiegen.
Alles ändert sich, so als hätte jemand einen Filmschnitt gemacht, aus dem Schneeregen ist plötzlich dicker Schneefall geworden, die neue Strasse ist nur noch ein Sträßchen, keine Markierungs- oder Begrenzungseinrichtungen und verdammt schmal ist es geworden. Und es geht weiter hoch. Links Felswand, rechts Abhang mit grossen Tannen, wir sind auf einmal mitten im Winter. Es ist stockdunkel. Auf der Strasse liegen jetzt gut zwanzig Zentimeter Schnee und mit jedem Meter den wir weiterfahren wird uns mulmiger. Kaum noch sichtbare Spuren, wir sind ziemlich allein hier oben.
Wir passieren ein verschneites Strassenschild, unsere Augen hatten sich darauf gebannt. Wir erkennen es beide gleichzeitig. Schon wieder eine Steigungsstrecke (und natürlich haben wir heute auch schon an mehreren Stellen Schneeketten-Schilder gesehen und ignoriert). Wir haben keine Schneeketten dabei. Das Bergsträßchen steigt, die Steigung wird stärker, ich bin nur noch Mulmigkeit, Gudrun sitzt stumm neben mir. Dann spüre ich es zum ersten Mal, unsere vier Antriebsräder drehen durch. Zuerst kurze Aussetzer dann unweigerlich das Ende der Vorwärtsbewegung, dann dreht sich der dicke Hintern des Eumels weg - zum Glück nach links Richtung Felswand, und wir stehen schräg. Handbremse, Gang raus, Füsse von den Pedalen, die Knie zittern ganz leicht. Durchatmen.
Unsere Festbeleuchtung aus Nebel- und Aufblendlicht strahlt ruhig ins Nichts aus Schnee, der Scheibenwischer wappt weiter. Wir stehen, rien ne va plus, wir stehen auf einem türkischen Eselsweg mitten im Gebirge, 20 Kilometer hinter dem letzten Dorf, und wir stehen quer über dem Weg, schöner Mist. Kurze Situationsanalyse, ich glaube zu sehen, dass Gudrun am liebsten weinen würde, aber sie bleibt ruhig. Schlafen gehen scheidet irgendwie aus, so lange wir da hängen, müssen die Lichter an sein, und wir müssen warten und warnen, vor uns ist auch noch eine Kurve, zum Glück werden die, die da runter kommen in dem Moment sehr langsam sein. Aber noch kommt keiner. Schuhwechsel. Ich ziehe mir die hohen Wanderschuhe an und springe in den Schnee. Unser Motorradträger endet ca. zwanzig Zentimeter vor den Felsen. Gar nicht gut.
Wir überlegen. 500 Meter vorher hatte ich eine Art Ausbuchtung gesehen, die vielleicht gerade gross genug war um den Eumel halbwegs sicher zu stellen, wenn wir irgendwie dahin kämen... Wir könnten im Schleichgang rückwärts fahren bis dahin, aber zuerst müssen wir aus der Schräglage raus. Draussen schneit es unermüdlich weiter. Ich steige nochmal aus, laufe um den Wagen, sehe die Rutschflächen, die die Hinterräder erzeugt haben. Ein Bild ist mir in Erinnerung geblieben: Auf einmal sehe ich ein Vögelchen, ein Spatz, der in unserem Scheinwerferlich hin und her tanzt...irgendwie komisch. Ich bin ja nicht besonders abergläubisch, aber an diesem Abend habe ich vielleicht unseren Schutzengel gesehen...
Wir müssen irgendwie wieder gerade kommen um dann rückwärts fahren zu können und ich sage Gudrun, dass ich es versuchen will, mit Differenzialsperre ein, zwei Meter nach vorn, gerade ziehen und dann ganz langsam im Rückwärtsgang bis zur Ausbuchtung. Weiter denken wir nicht mehr. Wenn es schiefgeht und wir nochmal nach hinten rutschen ist der Motoradträger Knautsch, ohne Frage. Ich lege den Schalter um, Gang rein, Gas, Kupplung - und wir springen tatsächlich ein gutes Stück nach vorn. Gudrun lässt auf ihrer Seite den Abgrund nicht aus den Augen. Der erste Teil ist geschafft. Dann die Korrektur der Längsachse, das hatte ich mir einfacher vorgestellt, immer wieder lasse ich die Bremse kommen, die Vorderräder sind eingeschlagen, aber der Wagen folgt dem Einschlag kaum. Wir schaffen es gerade so. Der Eumel steht jetzt knapp an den Felsen auf der Gegenfahrbahn, aber er steht gerade.
Jetzt weiter, immer noch mit offener Fahrertür hänge ich halb draussen und trotze der Steigung langsam Meter für Meter ab. Immer wieder kommt der Wagen ins Rutschen, wir brauchen für die 500 Meter bestimmt eine halbe Stunde. Wir erreichen die Bucht, die ich gesehen hatte, sie ist doch viel zu schmal für jedes Manöver, also zuckeln wir weiter rückwärts, zum Glück ist es jetzt weniger steil und die Rutschgefahr ist etwas geringer. Nach einer kleinen Ewigkeit erreichen wir die nächste Bucht, es muss jetzt noch zwei, drei Kilometer bis zum Abzweig der Hauptstrasse sein. Wenn wir die erreichen, haben wir es geschafft. Wieder stehen wir, und diskutieren das Wendemanöver, als auf einmal Lichter vor uns auftauchen. Langsam kommt ein kleiner Pick-up mit Ladung den Berg runter. Ich springe aus dem Führerhaus und laufe dem Wagen entgegen, mit den Händen signalisiere ich, dass er um uns rum fahren soll, wir kommen schon klar. Aber so läuft das hier nicht.
Sie halten an, und ein türkischer Redeschwall des jungen Mannes beginnt, Vatern und Muttern sind noch im Auto, Bergleute offensichtlich. "Türkcye bilmiyorum. Ben aleman." Mein Standardsatz, ich verstehe kein Türkisch, ich bin Deutscher. Er steigt aus und zeigt auf die Schneeketten, die sie auf den Hinterrädern haben. Klar, ohne Schneeketten gehts nicht. Ich bedeute ihm, dass wir ein Wendemanöver machen wollen. Sofort helfen sie. Ich ziehe nach vorn, Vater und Sohn bedeuten mir weit früher als ich eigentlich dachte, zu stoppen. Wahrscheinlich kennen sie die Beschaffenheit der Parkbucht und wollen dass ich dem Abgrund nicht zu nahe komme. Also wieder zurück, der nächste Zug. Jedesmal wenn die Nase rum muss, drücken sie, damit die Kurve greift. Gudrun drückt symbolisch mit. Geschafft. Mein Herz macht einen Sprung. Wir müssen nicht im Gebirge übernachten. Wir stehen nicht mehr schräg am Abgrund.
Im Schneckentempo zuckeln wir weiter, die türkische Famile bleibt hinter uns, sie lassen uns erst ziehen als wir die Hauptstrasse erreicht haben. Alle winken, wir winken und lachen, Erleichterung macht sich breit. Wir wissen, dass es jetzt auf gut ausgebauter Strasse nur noch leicht bergab geht, wir wissen, dass es in Gömbe nicht mehr schneien sondern regnen wird, und dass wir ab Elmali auch nach Finike an die Küste fahren können, wahrscheinlich mit weniger Passhöhe. In Gömbe halten wir wieder an der Lokantasi, Gudrun nimmt den Atlas um die beiden Jungs zu befragen, ich kaufe zur Feier des Tages eine Flasche Rotwein in einem kleinen Market nebenan, die Leute im Kiosk bedeuten mir auch, dass die Strasse nach Finike problemlos ist, und so wird es auch sein. Hinter Gömbe hört der Schneeregen auf, nur noch ganz leichter Niesel, dann ist die Strasse schneefrei, sogar der Regen hört auf. Voller Erleichterung passieren wir die letzte Kuppe auf nur 1100 Meter, dann Serpentinen, dann sehen wir die Lichter der Küste. Gudrun steuert den Eumel ruhig den Lichtern von Finike entgegen, ich habe mir ein Bier aufgemacht.
Es ist mittlerweile schon fast Mitternacht, aber die Stimmung im Bus ist durch das doch so gut überstandene Mini-Drama richtig relaxt. Ab Finike fahren wir jetzt auf der Küstenstrasse wieder westlich zurück Richtung Kas. Wir kommen durch Demre, das gleich drei Sehenswürdigkeiten bietet. Wir folgen der Beschilderung nach Andriake, ein alter, damals sehr bedeutender Römerhafen, der schon lange versandet ist. Heute werden dort Holzboote gebaut und repariert. Wir parken den Eumel in einem Pinienwäldchen ein, und feiern noch ein Stündchen.
Der nächste Morgen, direkt aus dem Bilderbuch - wir stehen in wunderschöner Natur, entfernt hämmern die Bootsbauer, die Sonne scheint und wir blicken direkt auf einen See.
Andriake |
Dahinter erheben sich die alten römischen Getreidespeicher, ein Hündchen wartet vor dem Mobil auf uns und begleitet uns auf der ganzen Wanderung durch die Ruinen.
War da gestern irgendwas mit Schnee? |
Dann noch ein Kaffee am nahen Strand, von dem im Sommer Bootsausflüge mit Schnorcheln im versunkenenen Hafen von Kerkova angeboten werden, et hätt noch emmer...
...Joot Jegange! |
P.S. Wir kennen jetzt auch die Symbole für Bergpässe in unserem Atlas und neben dran stehen in winziger Schrift die Passhöhen, im halbdustern Auto hatten wir schlicht übersehen, dass uns der Eselsweg über 1600m geführt hätte...you live, you learn!
Ich sehe, dass es wirklich ernst war. Sonst wuerdest du ein paar Schneefotos machen :-)
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