Freitag, 25. März 2011

Petra (and Pain)

Ja, das hatten wir uns etwas anders vorgestellt. Eine kurze Fahrt vom Wadi Rum nach Petra, und dann ausgiebig in der nabatäischen Ruinenlandschaft auf Wanderschaft gehen.

Immerhin eines der sieben neuen Weltwunder (22% der 100 Millionen Internet-Stimmen), und die Mega-Attraktion Jordaniens schlechthin (Weltwunderinfo...). Schon die Anfahrt setzt die Erwartungen hoch. Sagenhafte Gebirgslandschaften tun sich auf, Steine in allen Formen und Farben. Der Touristenort vor Petra heisst Wadi Moussa, und dort reiht sich ein Hoteltempel an den nächsten, Mövenpick, Crowne Plaza, Radisson, alles da.

Reiseführergemäss suchen wir unsere Budget-Unterkunft, das Hotel Al-Anbat, da es davon im Ort drei Stück gibt, müssen wir ein wenig suchen. Das Al-Anbat I liegt etwas ausserhalb unter der Moses-Quelle, sie bieten ordentliche Waschräume und Caravan-Stellplätze auf einer Terasse unterhalb des Hotels. Etwas schmucklos und kahl, dafür belohnt der Blick auf die Petra-Felsen und gleich der erste Sonnenuntergang ist vom Feinsten.

Petra Sunset
Irgendwie geht es mir nicht so gut. Seit dem letzten Abend im Wadi Rum habe ich leichte Zahnschmerzen, dazu kommt noch ein undefinierbares Schwächegefühl. Die Zahnschmerzen wollen betäubt werden, und wir statten der superschicken Mövenpick-Hotelbar einen Besuch ab, natürlich gibt es dort erstklassigen Scotch, der tatsächlich gegen die Schmerzen hilft, aber so ganz prima fühle ich mich immer noch nicht.

Trotzdem geht es am nächsten Morgen per Al-Anbat Shuttlebus zum Visitor Center von Petra, und wir erstehen die nicht ganz billige Dreitageskarte, die allerdings nur unerheblich mehr kostet als die Zweitageskarte. So richtig zur Kasse gebeten werden die Tagestouristen aus Israel, wenn man keine Übernachtung in Jordanien vorweisen kann, löhnt man satte 90 Euro für den Petrabesuch.

Gleich hinter dem Eingangstor stehen Kutschen (nur für Gehbehinderte und extrem übergewichtige Amerikaner) und Pferde, der 2-Kilometer-Ritt bis zum Eingang des Siq (die Zugangsschlucht zur antiken Stadt) ist angeblich im Ticketpreis inbegriffen. Also hopp auf den Gaul, Gudrun macht das mal wieder richtig Spass, ich hoppele so mit meinem Zahnschmerzgesicht hinterher. Auf dem gesamten Ritt labert mich der Pferde-Typ zu, was er sonst noch alles anzubieten hat, und dass ich nicht vergessen soll, gleich einen "angemessenen" Tip zu geben, so läuft das also...als wir dann absteigen, und ich mein jordanisches Kleingeld zusammenkratze, komme ich auf 4 Euro Trinkgeld, wobei die Typen voll den Aufstand machen, sie wollen zehn. Ich erkläre, dass der Ritt mit dem Ticket bezahlt ist, und mein Trinkgeld angemessen ist. Wir lassen die Beiden alleine weiterzetern, und marschieren Richtung Siq.

Hier gehts rein
Die Schlucht ist phänomenal, 100 Meter türmen sich zu beiden Seiten die Felswände senkrecht auf, an der schmalsten Stelle ist die Schlucht gerade mal 2 Meter breit. Dennoch brettern ständig Kutschen durch, und das zur-Seite-springen wird auf den anderthalb Kilometern Schluchtpfad zur Gewohnheit. Hier sind richtig viele Menschen, und wir wüstenverwöhnten Einsamkeitsenthusiasten wissen noch nicht so richtig was wir mit diesem Petra anfangen sollen. Dann doch das Erlebnis, das vielleicht alleine den Eintritt wert ist. Die Schlucht verengt sich nochmals, dann bricht die Sonne durch und man sieht die halbe Fassade der alten nabatäischen Schatzkammer, eine steinmetzerische Pracht, die direkt in den Felsen gehauen ist.

A Stunning Vıew
Die Schlucht führt auf einen grossen von Felswänden umgebenen Platz, und vor der Schatzkammer herrscht Jahrmarktstimmung. "Petra Books", "Camel Rides", alles wird lautstark und in vielen Zungen angepriesen, auch auf Russisch.

Jahrmarkt in Petra
Um wenigstens etwas von der Erhabenheit des Ortes zu erhaschen, setzen wir uns lange auf eine Bank gegenüber der Schatzkammer, und sehen uns den ganzen Touri-Zauber an, der immer mal wieder kurz zum Erliegen kommt, wenn die eine Gruppe in den Outer Siq weiterwandert, und der Inner Siq noch keine neue ausgespuckt hat. Den Vogel schiesst eine 150-Kilo Amerikanerin ab, die hässlichste Frau, die wir je gesehen haben. Sie labert unaufhörlich auf einen jordanischen Polizisten ein, wie schön das Leben in Amerika ist, und dass man es mit Real Estate zu sieben! BMW's in der Garage gebracht hat, ausserdem wäre auch die Tochter schön und klug. Die (eher durchschnittliche) Tochter wird vorgezeigt. Naja, die Psychopharmarkaindustrie hat ja in Mehrika einen guten Markt. Ich weiss nicht, ob es an meiner angeschlagenen Konstitution liegt, aber es beginnt mir auf die Nerven zu gehen. Unaufhörlich schieben sich unsäglich unpassend gekleidete Fettkühe durch diese Natur- und Ausgrabungsschönheit. Nein, frau trägt kein Top und keine Shorts in Arabien, schon garnicht mit 50 Kilo Übergewicht und Speckschweineärmchen.

Karawane
Egal, der Outer Siq ist breiter und lässt mehr Bewegungsfreiheit. Wir bewundern Hunderte von Felsgräbern und trinken gegenüber dem Fels-Theater Tee.

Graeber ueber Graeber
Mir geht es immer schlechter, und angesichts des weiten Rückwegs machen wir kehrt. Wir haben ja eine Dreitageskarte und können die nächsten beiden Tage abseits des Main Track wandern (das Felsgeläuf ist riesig). Eigentlich wollten wir ja ein Taxi zum Hotel nehmen, aber da ein Apothekeneinkauf (Aspirin) geplant ist, laufen wir, und laufen, durch die Siqs, durch Wadi Moussa bis hoch zur Mosesquelle, die rund 500 Meter oberhalb von Petra liegt. Dann noch ein paar Lebensmittel, und ich schleppe mich mit allerletzten Kräften bis zum Al-Anbat. Eigentlich wollten wir uns abends mit Christel und Ben aus Nantes in ihrem Hotel auf einen Scotch treffen, aber wir simsen eine Absage wegen krank.

Nachts kommts dann immer schlimmer, Grippesymptome, und das Übelste (Gudrun googelt am nächsten Morgen die Symptome am Hotelcomputer, die ich der Leserschaft im Detail erspare) - Blasenentzündung.

Mir geht es dreckig, nun hat's uns nach sieben Monaten zum erstenmal richtig blöd erwischt. Der ständige Wind auf den Felsen und die eiskalten Nächte im Wüstencamp schlagen zurück. Ich will mich eigentlich gar nicht mehr bewegen, aber Gudrun besteht auf einen Arztbesuch. Wir erinnern uns an unseren Holland-Urlaub vor ein paar Jahren als Gudrun die Bakterien hoch in die Nieren gekrochen sind, und das war dann überhaupt kein Spass mehr (aufgrund der Örtlichkeit des dortigen Spitals heisst dieser Urlaub bei uns intern immer noch "Leiden in Leiden"). Aber ich leide noch in Jordanien. Das Hotel ruft einen Arzt an, der heisst Ali, und das Shuttle fährt uns hin. Wir steigen die schiefe Treppe hoch, aber Doktor Ali ist nicht da, und seine verhüllte Sprechstundenhilfe weiss auch nicht wann Doktor Ali wiederkommt. "If you want better...", oh jesses, sie empfiehlt uns einen anderen Arzt. Drei Ecken weiter steigen wir die nächste Treppe hoch, im Wartezimmer ungefähr zwanzig Menschen, Beduinen, verschleierte Mütter, kranke Kinder...ich drehe auf dem Absatz rum, und bestehe auf ein ordentliches Krankenhaus. Taxi.

Wir fragen was es bis zum Krankenhaus kostet, und sind über die Auskunft - umgerechnet 2 Euro - sehr erstaunt. Noch erstaunter sind wir, als der Fahrer uns fünf Minuten später am Petra Visitor Center entladen will, das ist nicht nur richtungsmässig sozusagen das Gegenteil von einem Krankenhaus. Als er endlich verstanden hat, dass mir heute ausnahmsweise mal nicht nach Ruinenwandern zumute ist, und dass ich ins Krankenhaus will, wird der Preis auf 10 Euro erhöht, denn das Teil ist zehn Kilometer weit weg. Gut. 

Wir kommen also am King Abdullah Hospital an, und gehen mal bei Emergency rein. Links, rechts um die Ecke, bis wir zu einem Schalter kommen, wo ein paar Menschen eher locker zusammen sozialisieren. Auf die Frage, ob jemand englisch spricht, wendet sich ein netter junger Mann im Pflegerdress an uns, und bedeutet uns hinter einem der Paravents Platz zu nehmen.

Kurz darauf kommt er und erklärt im ganzen Krankenhaus gäbe es zur Zeit keine Ärzte, weil King Abdullah die Gehälter nicht zahlt (naja, er drückt es etwas vorsichtiger aus). Mein Schmerzgesicht muss sich in dem Moment nochmals erheblich verzerrt haben. Keine Aussicht auf Rettung. Ich will nicht in Jordanien sterben. Ich nehme mich zusammen, und ziehe den Zettel mit Gudruns Internetrecherche aus der Tasche. Ich erkläre ihm, dass ich keine Nierenentzündung haben will, und deshalb Antibiotika brauche - die stehen auch auf dem Zettel von Gudrun. Er nickt, und signalisiert Verständnis. Nun zieht er einen Zettel aus dem Kittel und schreibt mir ein "Rezept" drauf - zwei Antbiotika, ein Schmerzmittel. Er sagt, ich dürfte damit nicht zur Krankenhausapotheke, aber in Wadi Moussa würde man mir die Sachen sicher verkaufen. Ich atme auf, und bin dem jungen Pfleger bis heute dankbar.

Vor dem Krankenhaus bietet uns ein Sicherheitsmann sozusagen als Nebenverdienst die Rückfahrt nach Wadi Moussa an, und fährt uns zur grössten Apotheke am Ort. Die Mittelchen sind vorrätig und kosten insgesamt nur 23 Euro, ein Antibiotika-Schnäppchen also.

Dann geht es endlich zurück zum Eumel und ich beginne meine 72-Stunden-Bettlägerigkeit und Schlaftherapie während unser Petra-Dreitagesticket langsam vor sich hin verfällt. Die Mittel schlagen glücklicherweise super an, und Gudrun flösst mir literweise Brennnesseltee und Cranberrysaft ein. In den ersten 48 Stunden mache ich nichts, ausser schwitzen, schlafen und weggetreten sein. Am dritten Tag kann ich wieder lesen, und ziehe mir hintereinander Narziss und Goldmund und Siddartha von Hermann Hesse rein, diese Bücher haben lange auf mich warten müssen, und in meiner fiebrigen, randexistenziellen Laune war das genau der richtige Stoff. Das Universum öffnet sich langsam wieder für mich und ich erlange Erkenntnis - ich werde hier nicht sterben.

Am nächsten Morgen will ich duschen, ein ernstzunehmendes Zeichen der Besserung. Wir denken an Aufbruch, unser Jordanien-Visum läuft ab, und wir können es gerade noch schaffen, ohne Strafgebühr zu zahlen. Beim Rangieren des Eumels auf dem Hotelparkplatz sind wir auf ein Nagelbrett gefahren, und ein Nagel steckt noch im Hinterreifen. Wir überlegen, ob wir ihn drin lassen sollen und weiterfahren bis zur nächsten Werkstatt, oder rausziehen und gucken was passiert. Ich ziehe ihn raus und gucke wie die Luft entweicht. Pfft macht es. Shit.

Wieder zur Hotelrezeption. Wir haben im Al-Anbat mittlerweile Problemkindstatus. Hinter der Rezeption steht wieder dieser junge Mann im etwas zu schicken Anzug, dessen Augen immer nervös zucken und wandern, das zusammen mit seinen eher marginalen Englischkenntnissen erschwert die Kommunikation. Er versteht aber, dass wir uns den Nagel auf seinem Parkplatz zugezogen haben, und das unsere Visumsuhr tickt. Ich bekomme einen Bediensteten zugewiesen, der mit mir zum örtlichen Vulkanisateur fährt, dort für eilige Erledigung auf arabisch plädiert, und ich werde halbgesund Zeuge einer ordentlichen Dienstleistung am offenen Reifen, die inklusive Runter- und Raufmachen vor Ort Al-Anbat Parkplatz mit nur 10 Euro zu Buche schlägt. Ich erzähle lachend, dass man in Deutschland den Reifen weggeschmissen und uns einen neuen verkauft hätte. Alle lachen. Alemanya, alemanya.

Flickschuster
Wir zahlen dreizehn in der Hoffnung auf Glück, Gudrun kocht für alle eine Runde Wadi Rum Beduinen-Tee, und dann können wir endlich los.

Da wir das Tote Meer auch noch gesehen haben wollen, nehmen wir die Route durch den tiefsten Punkt der Erde, aber unser Tiefpunkt ist endgültig überstanden.

Sand Hills
Tolle Landschaften, Einfachstbehausungen, Menschen, Esel, Ziegen, endlich wieder Grün, Palmen und Landwirtschaft. Ein kurzer Stopp am toten Gewässer, das optisch quicklebendig wirkt, dann rechts ab nach Amman.

Dead Sea
Diesmal kommen wir besser durch, verfahren uns nicht, und Gudrun lenkt den Eumel souverän durch die teils verwirrende Streckenführung. Dann Richtung Grenze und nach Damaskus. Zum ersten Mal fahren wir eine Strecke zum zweiten Mal. Wieder Stunden an der Grenze, Ausreise aus Jordanien, Einreise nach Syrien. Wieder werden wir heftig zur Kasse gebeten - zum letzten Mal, hoffentlich.

Spätabends erreichen wir Damaskus, steuern zielsicher unseren altbekannten Vorort-Slum an, und als uns Mohammed sein Campingplatz-Tor öffnet sind wir glücklich und zufrieden, ein bisschen wie nach Hause gekommen. 

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